Nicht-Orte: Cologny
Dieses Projekt entstand in Kollaboration mit Anthea Oestreicher
Spielerisch Nicht-Orte entdecken
Cologny entsteht im Rahmen der Nicht-Orte-Theorie von Augé. Das Spiel greift Wesensmerkmale des Buchs, sowie dem klassischen Monopoly auf und vermittelt sie den Mitspielern auf praktische Weise. Die Idealstadt des „Monopoly“ ist die Essenz der utopischen Stadtplanung. Die Vielfalt des Phänomens Stadt, wie sie die Geschichte hervorgebracht hat, hebt sich hier auf. Auf dem Spielfeld hat alles seinen angestammten Platz, der immer bleibt und die Spieler finden sich auch über die Editionen hinweg immer zurecht, da alles bleibt wo es war. Das Spiel soll zum Austausch von Orten der Erinnerung dienen, die im Teilen mit den Mitspielern zu gemeinsamen Orten werden um die sich eine kollektive Identität bilden kann.
Die Eigenschaften des Spiels orientieren sich an den verschiedenen Charakteristika des anthropologischen Ortes und des Nicht-Ortes. Die Spieler bewegen sich konstant zwischen eigenen, vertrauten Welten und denen, die ihnen völlig unbekannt sich. Sie begeben sich auf eine Reise, die ihnen die Bedeutung des anthropologischen Ortes, dessen Kern ein Ort der Erinnerung darstellt, vor Augen führt. Augé schreibt dazu: »Der Raum des Reisenden wäre also der Archetypus des Nicht-Ortes.« (Augé, S. 90).
Laut Marc Augé werden anthropologische Orte in drei Kategorien aufgeteilt: Die Orte der sozialen Interaktion (dargestellt bei Augé durch das Haus, Cologny über die Umdeutung der »Straßen«), die Orte des wirtschaftlichen Handelns (dargestellt bei Augé durch die Arbeit, in COLOGNY durch die Produktionsfabriken), die im Kontext mit dem »Mutter-Spiel« MONOPOLY auf die Käuflichkeit und Privatisierung diesen Objekten hinweisen), sowie das Krankenhaus (als Ort von Geburt und Tod), das aufgrund der »Unsterblichkeit« im Spiel wegfällt.
Im Gegensatz zum klassischen Monopoly, dessen Spielcharakter vorwiegend ökonomisch zu betrachten ist, behandelt Cologny also das Thema des anthropologischen Wandels. Entgegen dem Werk Augés wird in Cologny zudem die soziale Bedeutung des Ortes mit betrachtet. Das Zuhören, Austauschen und Behalten der Geschichten, die sich an (für Andere) anthropologischen Orten abgespielt haben, lässt diese in der eigenen Betrachtung von Nicht-Ort in Richtung Ort bewegen. Der Autor des Buches beschreibt die Nicht-Orte wie folgt: »Doch den wirklichen Nicht-Orten der Übermoderne, […], ist es eigen, […], dass sie auch von den Worten oder Texten definiert werden, die sie uns darbieten: ihre Gebrauchsanleitung letztlich, die in Vorschriften (“rechts einordnen”), Verboten (“Rauchen verboten”) oder Informationen (“Herzlich Willkommen im Beaujolais”) zum Ausdruck kommen und entweder auf mehr oder minder explizite und codifizierte Ideogramme zurückgreifen (die Zeichen des Straßenverkehrs, die Symbole in Reiseführern). Auf diese Weise stellt man die Bedingungen für den Verkehr in Räumen her, in denen die Individuen nur mit Text zu interagieren scheinen, deren Urheber ausschließlich “juristische” Personen oder Institutionen sind […].« (Augé, S. 98)
Eine Gebrauchsanleitung ist auch etwas, dass ein Spiel erst spielbar macht. Doch während Augé von codifizierten Ideogrammen spricht, sind die Zeichen von Cologny zu Beginn des Spiels undurchdringbar und rätselhaft. Er beim Lesen des geschriebenen Wortes erschließt sich dem Reisenden die Bedeutung der selben. Im Verlaufe des Spiels wird die Bedeutung der Symbole verinnerlicht, sodass diese eine zusätzliche, semantische Ebene dazugewinnen.
Eine Besonderheit der Stadt in Monopoly und auch Cologny ist das Fehlern jeglicher Gemeinschaftorte, Kulturmeilen, Plätze von historischen Bedeutung und Gesellschaftsinteressen, die sich in einer Stadt üblicherweise im Stadtzentrum befinden. Im Spiel ist das sich in der Mitte befindende Zentrum jedoch leer, es gibt keine Orte, an denen sich der Spieler als Reisender trifft oder verweilt.
Das im Spiel nicht mit Geld, sondern mit dem gesprochenen Wort bezahlt wird, kommt nicht von ungefähr. »Transitorte«, wie Augé sie beschreibt, sind Orte des Durchgangs. Solche, die notwendig sind, um von einem Ort zum nächsten zu gelangen. Man verweilt nicht in ihnen, sie sind Mittel zum Zweck und haben für den Transitreisenden keine anthropologische Bedeutung. Das Reisen durch diese Orte bedingt jedoch die Preisgabe der eigenen Identität. Egal ob beim Check-In am Flughafen, bei der Buchung eines Bahntickets oder auf dem Schiff: Persönliche Daten sind es erst, die ein Durchgang erst möglich machen. »Der Passagier der Nicht-Orte findet seine Identität nur an der Grenzkontrolle, der Zahlstelle oder der Kasse des Supermarkts. (…) Der Raum des Nicht-Ortes schafft keine besondere Identität und keine besondere Relation, sondern Einsamkeit und Ähnlichkeit.« (Augé, S.104) »[…] und zugleich die Abstraktheit, die unser Zeitalter zerfrisst und bedroht, so als wären die Konsumenten von Raum heute vor allem dazu aufgefordert, in Worten zu bezahlen.« (Augé, S.88)
Während des Spielens durchqueren die Reisenden des Spielfeldes verschiedene Aspekte Marc Augés Theorie. Der Schwebezustand zwischen bekannten und nicht bekannten Orten erzeugt ein Spannungsgefüge, in dem der anthropologische, von den Spielern selbst geschaffene Ort durch das Übermaß an Zeit, Raum und Individualität zu zerfallen droht. Das Vergessen von Geschichten der Anderen Spieler führt somit zu einer Selbstentfernung. Das Spiel COLOGNY lässt demnach zuerst die kollektive Identität wachsen, bei steigender Komplexität und Übermaß an Information fällt diese Identität wieder auseinander und der zu Beginn des Spiels geschaffene kollektive Ort wird wieder zum Nicht-Ort. Cologny soll zu selbstreflektivem Verhalten anregen und zum Austausch persönlicher Geschichten beitragen.
Vgl. Augé, Marc. Nicht-Orte. CH Beck, 2010.