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Distilling Humanity

Das praktische Narrativ​

Im Kurs „sozio-ökonomische Utopien“ untersuchen Studenten verschiedene Narrative und stellen sie in den Zusammenhang einer Ausstellung. Ziel ist eine alternative Darstellungsweise einer selbst gewählten Utopie, Dystopie oder einem anderen Narrativ mit politischem Hintergrund.

Tono-Bungay

In seinem semi-autobiografischen, dystopischen Roman „Tono-Bungay“, erschienen 1909, beschreibt H. G. Wells das Leben des George Ponderevo aus der Ich-Perspektive, welcher durch die imperialen Abenteuer seiner Geschäfte zur Degeneration des vorherrschenden Systems in England beiträgt. Zentrale Thematik von „Tono-Bungay“ ist die Verschwörung zwischen Kapitalismus und Imperialismus, sowie die Angst vor dem Verfall der britischen Gesellschaft.

George Ponderevo wird als Kind eines Dienstmädchens im Hause Bladesover in ländlicher Gegend geboren. Durch den engen Kontakt mit der Bourgeoisie des viktorianischen Gesellschaftssystems Ende des 20. Jahrhunderts, gewinnt er früh Einblick in den Lebensstandard der ihm überlegenen Schicht. Mit den Jahren versucht der Protagonist immer öfter, seinen Lebensstandard durch Bildung zu erhöhen.
Nachdem ihn sein Weg über Nicodemus Frapp, einem Bruder mütterlicherseits mit eigener Bäckerei, zu seinem Onkel Edward Panderevo führt, lernt er auf Nötigung seiner Mutter hin das Handwerk des Apothekers. Neben seiner Tätigkeit in dessen Laden, welcher später durch den Bankrott des Onkels in neue Hände fällt, besucht George eine Schule und eignet sich Wissen über Latein und andere wissenschaftliche Fächer an. Mit einem Umzug nach London erhofft er sich durch ein Studium mehr Einblick in die Forschung zu gewinnen, um seinen bisherigen Lebensstandard weiter zu erhöhen.

Während seiner Zeit in London besucht er seinen plutokratisch geprägten Onkel, der in einem Bezirk der Stadt einen neuen Laden eröffnet. Er handelt mit einem von ihm erfundenen Allheilmittel das er „Tono-Bungay“ nennt. Entgegen seiner Vorbehalte bezüglich der Geschäftsidee Edwards, steigt George gegen gute Bezahlung in dessen Handel mit ein. Zusammen vertreiben sie das Tonikum mit Hilfe einer geschickten, jedoch moralisch verwerflichen Marketingstrategie. Unterdessen kaufen sie zusammen Aktien anderer Unternehmen oder übernehmen diese vollständig. Vor allem ein Produkt namens „Quap“ erregt ihre Aufmerksamkeit, weil dieser Stoff eine Chemikalie enthält, die für die Herstellung eines kürzlich patentierten Medikaments dringend benötigt wird. George widmet sich parallel zu „Tono-Bungay“ eigener, wissenschaftlich fundierter Projekte, wie etwa seiner Luftfahrt-Experimente.

Nach einer kurzen Romanze mit seiner ersten Freundin, Beatrice Normandy, reist der Protagonist an die Westküste von Mrica, um „Quap“ zu besorgen – der Stoff soll seinem mittlerweile finanziell labilen Onkel aus der Krise helfen. Während seiner Reise nach Afrika tötet George in einem Anflug imperialistischer Gefühle einen Mann und gerät auf dem Rückweg in Seenot. Zurück in London, erfährt George durch eine Zeitung, dass sein Onkel aufgrund von Strafzahlungen wegen Betruges bankrott gegangen ist. G. Panderevo fliegt ihn daraufhin nach Frankreich, wo dieser letztendlich stirbt. Beatrice ist unterdessen mit Lord Carnaby, einem Mitglied der Bourgeoisie liiert – sie könne nicht mit einem Mann unter ihrem Stand, der zudem über keinerlei eigene Mittel verfügt, zusammen sein. Am Ende des Buches „Tono-Bungay“ fährt George Panderevo mit einem selbst gebauten Zerstörer X2 die Themse hinunter.

Ein kostbares Destillat

„Distilling Humanity“ greift die Degeneration der Gesellschaft durch Überhöhung des ökonomischen Triebes auf und manifestiert sie in der Destillation von Humus, dessen Resultat einzig und allein dadurch Wert bekommt, dass es künstlich verknappt ist und dadurch wertvoll wird.

Die Essenz des Destillationsvorganges verhält sich einerseits analog zu „Quap“, das den Onkel aus seiner bereits angeschlagenen finanziellen Not retten soll, indem er es in Mrica günstig erwerben lässt und in London teuer weiter verkauft. Andererseits macht der Prozess durch einen physischen Prozess greifbar, wie viel Destillat übrig bleibt, wenn eine Vielzahl an Molekülen nach oben strebt. Durch Zufall, Glück oder dem physikalischen Prozess selbst kondensiert das Wasser an der Innenseite des oberen Rundkolbens und fließt über die Kondensationsbrücke in einen kleinen Erlenmeyerkolben. Andere Wassertröpfchen kondensieren bereits am unteren Rundkolben oder Tropfen vom oberen wieder in den unteren herunter. Sie versickern mehr oder weniger in den Erdschichten des ersten Rundkolbens und beginnen den Verdampfungsvorgang somit von vorn.

Das Wasser in „Distilling Humanity“ kann als Menschheit verstanden werden, deren Weg sie durch andere, darüberliegende Gesellschaftsschichten nach oben führt. Jede Schicht des organischen Materials enthält mehr oder weniger Feuchtigkeit. Die unterste Schicht enthält viel davon und nährt sich vom Kondensat des unteren Kolbens. Die oberste organische Schicht enthält am wenigsten Feuchtigkeit, hält diese jedoch durch aufsteigenden Dampf aus unteren Schichten auf dem selben Level. Das Destillat selbst ist also die Essenz aus dem Verdampfungsprozess des unteren Kolbens. Es bekommt Wert durch seine einzigartige Schaffensweise und der geringen Menge des Destillats. Mit der Etikettierung „Humus“ diffundiert das Streben des Wassers mit der zu Grunde liegenden Idee des ökonomischen Gedankens und wird eins: Die ironische Verschmelzung resultiert in einem teuren Produkt. Die Reproduzierbarkeit des Prozesses, nachdem alle Flüssigkeit aus dem unteren Rundkolben verdampft ist, hängt von der Nutzung des kleinen Erlenmeyerkolbens ab. Gießt man den Inhalt wieder in den unteren Kolben, so beginnt der Prozess von neuem. Verkauft man die Essenz, so bleibt nichts weiter als trockene Erde.

Das Objekt wurde aus Glas, Holz und Aluminium gefertigt. Der Aluminiumstab bildet das Rückgrat der Gesellschaft und hält die Zweiklassengesellschaft der Art „Mensch“ in zwei Rundkolben fest zusammen. Der organische Untergrund aus Holz repräsentiert die Natur aus der sich der Mensch durch Technisierung, repräsentiert durch die Verwendung der kühlen Materialien, empor hebt.

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